Die Bedeutung der EU erleben

Mit vielfältigen Workshops und einer spannenden Podiumsdiskussion mit Politikern hat sich das Berufskolleg Kleve auf die Europawahl in drei Monaten vorbereitet. 

Das Highlight des Europatages: die Podiumsdiskussion mit Vertretern der sechs „großen“ Parteien.

Das Highlight des Europatages: die Podiumsdiskussion mit Vertretern der sechs „großen“ Parteien.

Eines wird an diesem Tag deutlich: Miteinander sprechen, Kompromisse finden und gemeinsam Entscheidungen treffen ist das Erfolgsgeheimnis der Europäischen Union, die uns Sicherheit, Wohlstand und Freiheiten ermöglicht. Abiturient Justin nennt es „das Motto Schulterschluss statt Ellenbogen“ und fordert in seinem literarischen Text in Zukunft ein Stärken dieser starken Schultern. Eine Möglichkeit bietet die Europawahl, die in Deutschland am 9. Juni stattfindet. Um die Schülerinnen und Schüler, von denen viele dann zum ersten Mal wählen dürfen, darauf vorzubereiten, hat ein Projektteam des Berufskollegs Kleve jetzt einen schulweiten Europatag veranstaltet. „Das Ziel ist es, dass wir uns alle ein bisschen mehr als Europäer verstehen und wir den europäischen Gedanken weiter aktiv voranbringen. Mischen Sie mit! Werden Sie aktiv! Gehen Sie wählen!“, appelliert Schulleiter Peter Wolters bei der Eröffnung des Europatages.  

Am Vormittag gab es zwölf verschiedene Workshop-Angebote, an denen alle Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs je nach Interesse teilnehmen konnten: von Einblicken in die Arbeit in Brüssel, über die Bedeutung der EU für jeden einzelnen und einem großen Europa-Quiz bis zu Informationen zu Auslandspraktika, einem Studium in den Niederlanden oder grenzüberschreitendem Marketing. Angeboten wurden sie unter anderem vom Europe Direct Zentrum Duisburg, der Helmut-Schmidt-Stiftung und der Euregio Rhein-Waal. Darüber hinaus gab es auch kreative Workshops, in denen die Europahymne musikalisch mit verschiedenen Instrumenten vertont wurde, eine Schreibwerkstatt und Einblicke in die europäische Kunstgeschichte. Der Leiter der NRW-Landesvertretung in Brüssel, Rainer Steffens, erzählte von seiner Arbeit in Brüssel, den verschiedenen Gremien und der Suche nach Gleichgesinnten, um notwendige Mehrheiten für Entscheidungen zu schaffen. Schnell wird den Schülerinnen und Schülern deutlich: Entscheidungen auf EU-Ebenen zu treffen, ist hochkomplex: „Trotzdem klappt es seit den 50er Jahren, dass sich die Mitgliederstaaten nicht die Köpfe einschlagen, sondern sich einigen und zu Ergebnissen kommen. Das ist eine Errungenschaft, die man schätzen und schützen muss“, betonte Steffens. Die Schülerinnen und Schüler des Beruflichen Gymnasiums für Wirtschaft lernten in einem Workshop, wie man niederländischen Oranje-Vla zur Fußball-EM in Deutschland am besten vermarkten könnten, während eine Klasse der Höheren Berufsfachschule für Gesundheit und Soziales innerhalb eines Escape Games „Unlock Europe“ in die Rolle von Mitgliedern des Europäischen Rates schlüpften – die offiziellen Vertretungen waren im Aufzug stecken geblieben -, um beim EU-Gipfel die Zukunft Europas zu sichern. Beim Lösen der Rätsel innerhalb von vier Handlungssträngen - Sicherheit im Handel und in der Gesundheitsversorgung, Klimasicherheit und Umwelt, Diplomatie und Grenzkonflikte, Demokratie und digitale Sicherheit - lernten sie so einiges darüber, wie in Europa an Frieden und Sicherheit gearbeitet wird und welche Entscheidungen sowie Kompromisse getroffen werden müssen, um eine einheitliche Pressemeldung zu verabschieden.  

Höhepunkt des Europatages war die Podiumsdiskussion mit Vertretern von CDU, SPD, Grüne, FDP, AfD und Linke: Die Schülerinnen und Schüler des Beruflichen Gymnasiums, der Höheren Berufsfachschulen und der Internationalen Förderklassen haben im Unterricht verschiedene Themenbereiche erarbeitet und Fragen formuliert, auf die die Politiker jeweils eine Minute lang antworten durften. NRZ-Redaktionsleiter Andreas Gebbink moderierte die Diskussionsrunde und achtete auf faire Bedingungen. Inhaltlich ging es um die Migration, Klimaschutz, den Nahostkonflikt und den Krieg in der Ukraine. Vor allem die Frage nach der Zusammenarbeit der EU in der Migration wurde hitzig diskutiert: „Wir dürfen die Menschen an den Außengrenzen nicht im Stich lassen. Niemand flieht freiwillig. Wir müssen alles dafür tun, dass die Barbarei an den Grenzen der EU aufhört und diese Leute hier leben und eine vernünftige Ausbildung erfahren können“, betonte Bernhard Koolen, Mitglied des Landesvorstands der Linken. Für Olaf Plotke, Sprecher der Grünen, war die Aufnahme von Geflüchteten auch alternativlos: „Migration ist ein Fakt. Unsere Aufgabe ist es, die Menschen hier zu integrieren.“ Dafür seien viele Investitionen notwendig. SDP-Europakandidat Michael Mölders warnte dagegen, dass die Aufnahmekapazitäten in Deutschland nicht unendlich seien, und forderte eine bessere Verteilung der Geflüchteten auf die EU-Länder. CDU-Landtagsabgeordnete Günter Bergmann plädierte ebenfalls für eine regulierende Einwanderungspolitik: „Wir haben eine menschliche Verpflichtung zu helfen und Menschen aufzunehmen, die in Not sind. Aber wir müssen uns auch erstmal um die Leute kümmern, die schon hier sind.“  

Um die Debatte etwas abzukühlen, wechselte Gebbink zum European Green Deal, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden möchte. Michael Terwiesche, Europakandidat der FDP mahnte: „Das Ziel ist richtig, aber wir müssen aufpassen, dass wir der Wirtschaft nicht die Luft zum Atmen nehmen.“ Grünen-Sprecher Plotke sah keine Bedenken: „Es geht beides: Wir können das Klima stärken und dabei die Stabilität der Wirtschaft bewahren.“ Es gäbe viel Investitionsbedarf und damit jede Menge Jobs. Plotke visualisierte auf den Flachdächern des Berufskollegs Solaranlagen und die Installation eines Wasserstoffkraftwerks, womit man die Schule klimaneutral und autark betreiben könne. Selbstfahrende Elektrobusse, wie sie zurzeit in Monheim getestet würden, könnten die Schülerinnen und Schüler in Zukunft dann von jedem Dorf aus zur Schule bringen. CDU und FDP forderten gleichermaßen massive Investitionen in die erneuerbaren Energien und den ÖPNV. Hans Neuhoff, AfD-Europakandidat, lehnte den Green Deal ab und stellte die menschgemachten Effekte auf das Klima grundsätzlich in Frage.   

Schüler Emran fragte - auch für seine ukrainischen Mitschülerinnen und -schüler in der Internationalen Förderklasse – nach der Position der EU zum Ukraine-Krieg. Die Meinung war zweigeteilt: Während FDP, SPD und CDU wenig Erfolg in diplomatischen Gesprächen sahen und weitere Waffenlieferungen forderten, wünschten sich Grüne und Linke weitere Verhandlungen: „Die EU muss sich auf ihr Verhandlungsgeschick verlassen. Auch mit Schurken muss man verhandeln, um Frieden zu schaffen“, betonte Linken-Vertreter Koolen, der als einziger weitere Waffenlieferungen ablehnte. SPD-Europakandidat Mölders widersprach: „Wie kann man über seine eigene Existenz verhandeln? Die EU muss die Ukraine weiter unterstützen.“ Bergmann (CDU) betonte, dass die EU die Ukraine auch in Zukunft finanziell und materiell unterstütze. Große Einigkeit herrschte bei der Lösung des Nahostkonfliktes. Hier waren alle für eine Zwei-Staaten-Lösung, “auch wenn ich nicht daran glaube”, fügte Neuhoff von der AfD skeptisch an.   

Katharina Kohnen, die zusammen mit einigen engagierten Lehrkräften den Tag organisiert hat, war zufrieden: „Die bevorstehende Europawahl ist für viele unserer Schülerinnen und Schüler die erste Gelegenheit, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Da unsere Schule den europäischen Gedanken lebt, der in vielen Erasmus+ Mobilitäten und Aktivitäten erlebbar wird, hat mich das große Interesse an den verschiedenen Angeboten gefreut. Durch den Besuch und das Engagement vieler Europapolitiker und Referenten hatten wir das Gefühl "Europa kommt in unsere Schule". “  

Text und Fotos von Natascha Verbücheln